Der Diskurs des Unbewussten in Storms Chroniknovelle „Aquis Submersus“

241. Veranstaltung: Gastvortrag von
Dr. Christian Neumann am 24.05.2014



In der Stormforschung vor allem der letzten beiden Jahrzehnte haben literaturpsychologische Studien zunehmend an Bedeutung gewonnen, und das nicht ohne Grund. Sicherlich war Storm unter den poetischen Realisten derjenige, der das Verhalten seiner Figuren immer wieder aus deren Unbewussten heraus motivierte, was bei Keller, Raabe oder Fontane eher sporadisch geschieht. Mittels seiner Technik der symptomatischen Darstellung (1) wandte er sich nach eigener programmatischer Aussage vom offenen Motivieren, d.h. von einer für den Leser intellektuell vollständig nachvollziehbaren Figurenkonzeption ab, so dass die eigentlichen Motive der Figuren oft im Dunkeln liegen. (2) Indem er zeigte, dass es mächtigere Antriebe als den bewussten Willen gibt, setzte Storm einen Diskurs (3) literarisch um, mit dem seine Epoche seit langem schwanger ging und der wenig später von Freud systematisiert wurde. (4) Seit Ende des 18. Jahrhunderts, angefangen mit Mesmers Theorie des animalischen Magnetismus über die romantische Naturphilosophie bis hin zu Schopenhauer, Hartmann und Nietzsche in der Philosophie und zu Carus, Griesinger, Bernheim und Charcot in der Psychiatrie häuften sich die Diskurse über das Unbewusste.

In der Literaturgeschichte des 19.Jh. war die Romantik bahnbrechend für die Darstellung des unbewussten Seelenlebens. Dabei ist insbesondere E.T.A. Hoffmann, der realistische und fantastische Diskurse in seinen Romanen und Erzählungen miteinander verknüpfte, als wichtiger Vorläufer Storms zu betrachten. In seinen Erzählungen bewegt sich Hoffmann zwischen zwei Welten, wobei es meist offen bleibt, ob die Sphäre fantastischer Erscheinungen nur auf Einbildung der Figuren beruht oder Teil einer höheren, metaphysischen Wirklichkeit ist. So kann man beispielsweise in der Erzählung „Der Sandmann“ die Angstzustände des Protagonisten Nathanael, die dieser selbst als ein dunkles Verhängnis betrachtet, mit den Worten seiner Braut Clara auf unbewusste, wenn auch noch unverstandene seelische Vorgänge zurückführen: „Gerade heraus will ich es Dir nur gestehen, daß, wie ich meine, alles Entsetzliche und Schreckliche, wovon du sprichst, nur in deinem Innern vorging, die wahre, wirkliche Außenwelt aber daran wohl wenig Teil hatte.“ (5) Hoffmanns Protagonisten erfahren einen tiefen Zwiespalt zwischen innerer und äußerer Welt, der die Zerrissenheit zwischen den widerstrebenden Kräften ihrer eigenen Persönlichkeit zum Ausdruck bringt. Die von Schelling postulierte Einheit von Geist und Natur, von Ich und Welt, die in den Werken frühromantischer Dichter wie Novalis und Brentano noch emphatisch besungen wurde, ist bei Hoffmann höchst problematisch geworden, ohne dass aber die Existenz metaphysischer Wirklichkeitssphären grundsätzlich in Frage gestellt worden wäre.

Dagegen gibt es in Storms Novellen nur eine, immanente Welt, aber sie bietet zahlreiche Fluchträume für dasjenige, was von der Romantik noch als übernatürlich interpretiert wurde – für Storm kann es eigentlich nur aus verborgenen, von der Wissenschaft bislang noch nicht erforschten Bereichen der menschlichen Seele herrühren, selbst dann, wenn Phänomene wie Gespenstererscheinungen dargestellt werden. Dazu berichtet Storms Freund, der Soziologe Ferdinand Tönnies, Folgendes: „Storm war durchaus ein Freidenker und stand grundsätzlich auf dem Boden wissenschaftlicher Erkenntnis. Aber das Geister- und Gespensterwesen, der Spuk und Aberglaube hatte nicht nur seinen poetischen Reiz für ihn, dessen er sich voll bewußt war. Er neigte auch der Ansicht zu, daß es noch unerkannte Kräfte der menschlichen Seele gäbe, die hin und wieder in solchen Geschichten und Einbildungen ihr verborgenes Dasein offenbaren möchten; er sprach mir oft die Erwartung aus, daß die Wissenschaft‘ noch einmal dahinter kommen müsse.“ (6)

Das psychoanalytische Verständnis des Unbewussten wird um die Jahrhundertwende von Autoren wie Schnitzler und Thomas Mann aufgegriffen, die ihren Figuren explizit tiefenpsychologische Dimensionen verliehen. Zwischen Hoffmann und den modernen, postfreudianischen Autoren bildet Storm mit seiner ganz eigenen Schreibweise eine Zwischenstufe. Ohne eine vorformulierte Theorie literarisch umzusetzen, erforscht er das Unbewusste ganz als Dichter. Er steht damit an der Schwelle zur modernen Literatur, ohne sie überschreiten zu können, da er immer noch den ästhetischen und weltanschaulichen Maximen des Realismus verhaftet ist, eines Realismus mit doppeltem Boden allerdings, der immer wieder vom Gespenstischen und Unheimlichen unterwandert wird.


Unwillkürliche Handlungen als Schlüssel zu
verborgenen Innenräumen


In seinen Erinnerungserzählungen öffnet Storm Türen ins Unbewusste. Meist beginnen die Texte mit einer realistischen Rahmenerzählung, die auf der Gegenwartsebene spielt. An irgendeiner Stelle, ausgelöst durch ein Objekt, eine Person, eine Begegnung o.Ä. tritt eine Reminiszenz ein, und dann öffnet sich ein Erinnerungsraum. Das hier Erzählte ist der empirischen Wirklichkeit entrückter als die Rahmenerzählung, weil es durch ein sich erinnerndes Bewusstsein gefiltert ist; es tritt aus dem Verborgenen hervor, weil es zuvor ausgeschlossen aus dem öffentlichen oder persönlichen Bewusstsein war. Ausgehend von der erinnerten Binnenerzählung können andere Türen in weiter entfernte Erinnerungsräume aufgestoßen werden. Dabei trifft sich Storms Darstellung des Unbewussten bereits mit Freuds Konzept der Verdrängung, denn auch dort geht es primär um Vorstellungen, die nicht nur zeitweilig dem Bewusstsein entzogen, sondern dauerhaft aus diesem ausgeschlossen sind, jedoch dann als unerledigte Erinnerungen unter bestimmten Umständen unkontrolliert wieder hervortreten können. Für Freud sind Akte und Äußerungen, die das Subjekt nicht mit seinem sonstigen psychischen Leben zu verknüpfen weiß, so zu beurteilen, als gehörten sie einer fremden Person an. Die Wahrnehmung eigener unbewusster Vorgänge ist mit der Wahrnehmung der Außenwelt durch die Sinnesorgane zu vergleichen (7). Dem entsprechend können die Räume, die Storm darstellt, nicht als äußere, sondern als Innenräume, als Seelenräume interpretiert werden. Auf diese Weise wird verständlich, was die Figuren dazu treibt, die Schlüssel zu den Türen zu finden, die in diese Räume führen. Was auf der Textoberfläche als Zufall, Fatum oder Vererbung erscheint, erweist sich somit als Introspektion, ausgelöst durch den Andrang verdrängter Vorstellungen nach Wiederkehr.

In „Aquis Submersus“ ist der Schlüssel Erzählprogramm, denn er öffnet die Erinnerungsräume: „Die meiste Anziehungskraft für mich hatte indes das Innere der Kirche; schon der ungeheure Schlüssel, der von dem Apostel Petrus selbst zu stammen schien, erregte meine Phantasie. Und in der Tat erschloß er auch, wenn wir ihn glücklich dem alten Küster abgewonnen hatten, die Pforte zu manchen wunderbaren Dingen, aus denen eine längst vergangene Zeit hier wie mit finstern, dort mit kindlich frommen Augen, aber immer in geheimnis-vollem Schweigen zu uns Lebenden aufblickte“ (646 f.)(8).

Das Innere der Kirche repräsentiert den Seeleninnenraum des Erzählers, hier kann sich seine Vorstellungskraft entfalten (9). Man betritt es durch eine Pforte, die mit einem magischen Schlüssel zu öffnen ist. Dort gibt es „wunderbare“ Dinge zu entdecken. Wunderbar sind sie deshalb, weil aus ihnen „eine längst vergangene Zeit“ „zu uns Lebenden aufblickte“. Die Vergangenheit blickt auf, ist also aktiv und auf „geheimnisvolle“ Weise noch lebendig, und dies kann sie nur durch uns und in uns sein. Das heißt aber nicht, dass wir sie nur durch unsere Projektionen beleben. Eher erwecken wir sie wie aus einem Dornröschenschlaf, denn eine Spur Leben muss tatsächlich noch in ihr sein, sonst wäre es nicht möglich, sie aufzufinden. Woher kommt diese Spur Leben? Verstehen wir die erzählte Welt als seelischen Innenraum, so kann uns Freud einen Hinweis liefern, denn für ihn kann nichts, was einmal im Seelenleben gebildet wurde, untergehen, alles bleibt noch irgendwie erhalten und kann unter geeigneten Umständen wieder zum Vorschein gebracht werden. (10)

In der Rahmenerzählung führt eine Reihe von Türen in immer tiefer reichende Erinnerungs-räume. Den ersten öffnet der „unwillkürliche“ Blick nach Norden zum Kirchturm (644). Schon zuvor wird zur Einstimmung des Lesers das unterschwellige Fortdauern des Vergangenen in Bildern beschworen: Die Hagebuchenhecken in den dünnen, „gespenstischen“ Alleen tragen „immerhin noch einige Blätter“, Spuren einer weit entfernten Vergangenheit, in denen noch etwas Leben steckt, das aber gespenstisch wirkt, als letztes Residuum einer untergegangenen Zeit. Die zweite Tür ist der Eingang zur Kirche, wo der Knabe „ohne viel Besinnen“, also durch intuitives Aktivieren eines offenbar vorhandenen unbewussten Wissens, die richtige Deutung der rätselhaften Bildinschrift ausspricht. Die dritte „Tür“ führt schließlich in das Haus, in welchem er als junger Mann die Chronik findet. Hier passiert nun alles unwillkürlich: Die niederdeutsche Inschrift, die er seltsamerweise nie zuvor bemerkt hat, obwohl er dort immer in den Bäckerladen gegangen war, fällt ihm in die Auge. „Fast unwillkürlich“ betritt er das Haus und den Raum, der seit Jahren leergestanden hat. Dort fällt wiederum sein Blick auf das Ölgemälde, das plötzlich seine ganze Aufmerksamkeit hinwegnimmt. Und als er die Lade vom Schrank nimmt, fällt wie von selbst der Deckel zurück, und es zeigen sich ihm die vergilbten Blätter. Im Innenraum der Lade findet er nun die Chronik, die er unverzüglich zu lesen begehrt, und bald hat er alles um sich her vergessen (652), ist also eingetaucht in einen neuen Innenraum, den ihm die Chronik aufschließt.

Auffällig ist hier, dass er seine Entdeckungen ohne bewusste Intention macht, sie fallen ihm zu. Er agiert wie ferngesteuert. Es kann keine Verkettung bloßer Zufälle sein, sondern es sind Sendboten einer verschütteten Zeit, die ihn aktiv und zielsicher zu der Chronik hinführen. Aber warum? Die Annahme eines Fatums, das den Weg des Protagonisten auf geheimnisvolle Weise lenkt, wäre weder mit realistischen Erzählkonventionen noch mit Storms nicht-metaphysischem Weltbild zu vereinbaren. Lesen wir den Text dagegen als Ausgestaltung seelischer Tiefenräume, so kann man diese vermeintlichen Zufälle als Reminiszenzen, als Abkömmlinge unbewusster persönlicher Erinnerungsbilder verstehen. Voraussetzung für dieses Wiederfinden des Vergangenen ist die Aufnahmebereitschaft des Bewusstseins für Inhalte, die bisher zwar vorhanden waren, aber nicht bewusst wahrgenommen wurden. In Freud’scher Diktion gehören sie dem Vorbewussten an, dem zwischengeschalteten System, in dem bewusstseinsfähige Abkömmlinge des Unbewussten darauf warten, unter günstigen Umständen ins Bewusstsein zu dringen. Diese Umstände scheinen zu dem Zeitpunkt, als der Rahmenerzähler zum jungen Mann gereift ist, gegeben zu sein.

Neben diesem rhetorischen Aufwand an Wendungen, die die Unwillkürlichkeit des Handelns bezeichnen, fällt die Rede vom Geheimnisvollen und Unheimlichem auf, das die aufgeschlossenen Welten der Vergangenheit charakterisiert: Gespenstische Alleen, wunderbare, seltsame oder wohl gar unheimliche Dinge, ein geheimnisvolles Schweigen, eine phantastische Neigung und ein „phantastisches Verlangen“, Kunde vom Leben des toten Knaben zu erhalten, aus dessen Antlitz „neben dem Grauen des Todes, wie hülfeflehend, noch eine letzte holde Spur des Lebens“ spricht (647). Auch dies ist eine programmatische Erzählfigur der Novelle, die die gesamte vergangene Zeit charakterisiert, welche hier erzählerisch beschworen wird: Sie ist dem Tod anheimgefallen, aber eine Spur des Lebens spricht immer noch aus ihren „Augen“, die „zu uns Lebenden aufblickten“ (647); das tote Kind ist das Symbol, in dem sich der ganze Komplex verschütteter, aber unabgeschlossener Vergangenheit verdichtet. Das „Unheimliche“, das hier explizit benannt wird, steht im Gegensatz zur „helle[n[, freundliche[n] Gegenwart“ des Pfarrhauses, die aber heimgesucht werden kann von der Gespenstererscheinung des toten Knaben, welcher möglicherweise einst „hier leibhaftig umhergesprungen ist“. Was ist daran unheimlich? „Es sind […] die Toten selbst, die so ihre Blicke auf die Lebenden gerichtet haben“ (11), so Heinrich Detering, für den es in der Novelle „um die Wiederkehr der Toten“ (12) geht. Das erinnert eher an Wiedergängergeschichten aus abergläubischen Zeiten, die ihre unheimliche Wirkung auch auf den modernen Leser nicht verfehlen.

Auffällige Ähnlichkeit mit der Beschreibung des Knabenbildnisses hat die des Meretleins, der kleinen Emerentia aus Kellers Roman „Der grüne Heinrich“. Der tote Knabe aus „Aquis Submersus“ hält „eine weiße Wasserlilie in seiner kleinen bleichen Hand.“ (Das hier zu sehende Bild ist nicht das Totenbild, das nicht mehr erhalten ist). Das Meretlein, das zum Zeitpunkt seiner Porträtierung noch lebt, hält den Totenschädel eines anderen Kindes und eine weiße Rose. So sind Tod und kindliche Unschuld wie ein Oxymoron in beide Bilder eingeschrieben. Aus dem Antlitz des Knaben „sprach, wie eben gehört, neben dem Grauen des Todes, wie hülfeflehend, noch eine letzte holde Spur des Lebens.“ In dem blassen Gesicht des Mädchens sieht der grüne Heinrich „eine tiefe Trauer“ und „die glänzenden dunkeln Augen sahen voll Schwermut und wie um Hilfe flehend auf den Beschauer, während um den geschlossenen Mund eine leise Spur von Schalkheit oder lächelnder Bitterkeit schwebte.“ (13) In beiden Gesichtern kontrastieren also Zeichen des Todes und der Trauer mit denen des Lebenswillens, und beide Kinder schauen hilfeflehend den Betrachter an, als ob dieser sie erlösen könne. So fühlt sich denn auch Storms Rahmenerzähler von einem „phantastischen Verlangen“ ergriffen, von dem Leben und Sterben des Kindes eine nähere Kunde zu erlangen. Ganz ähnlich erregt das Bildnis des Meretleins „in dem Beschauenden eine unwillkürliche Sehnsucht, das lebendige Kind zu sehen, ihm schmeicheln und es liebkosen zu dürfen.“ Hinzuzufügen ist noch, dass neben dem Bildnis des toten Knaben das Porträt eines finsteren, schwarzbärtigen Priesters hängt, angeblich der Vater des Jungen, dessen düsteres Antlitz den Rahmenerzähler weniger an einen Priester als an „die Kriegsknechte des Altarschranks“ erinnert (648), während von dem Meretlein berichtet wird, dass es den Kirchgang verweigerte, weil sie „sich vor dem schwarzen Manne auf der Kanzel zu fürchten vorgab“, worauf sie einem solchen von ihrer Mutter zur Erziehung übergeben wurde, die hauptsächlich darin bestand, dem Mädchen durch grausame Misshandlungen alle Vitalität auszutreiben.

Kann die sicherlich nicht zufällige Ähnlichkeit des Meretleins mit Storms totem Knaben (14) zum tieferen Verständnis der unbewussten Prozesse beitragen, die Storm in seiner Chroniknovelle in Szene setzt? Regina Fasold sieht im Meretlein eine Spiegelfigur, ein Alter Ego des Helden Heinrich Lee. Bei seinem ersten schweren Konflikt mit seiner Mutter tritt dem siebenjährigen Heinrich das Meretlein „als eine Art Helferfigur dergestalt entgegen, dass in der magischen […] Bildbegegnung sich offenbar eine unbewusste Übertragung ereignet, in der Heinrich Lee Emerentia wie in einem Spiegel als Alter Ego, als Träger einer eigenen, verdrängten Vollkommenheit wahrnehmen kann.“ (15) Dass diese Zwillingsfigur weiblich ist, führt Fasold darauf zurück, dass Heinrichs Vater früh verstarb und dem Jungen deshalb für die Ausprägung einer Geschlechtsidentität wichtige Alter-Ego-Erfahrungen fehlten .

Lässt sich Ähnliches auch über die Beziehung zwischen dem Rahmenerzähler und dem toten Knaben in „Aquis Submersus“ behaupten? Ist auch dieser Knabe ein Alter Ego für den Rahmenerzähler, als dieser ein Kind war? Gerhard Kaiser jedenfalls vertritt in seinem Aufsatz „Aquis Submersus – versunkene Kindheit“ diese These. „Was aber ist für den Rahmenerzähler das Vertraute im fremden Leben; was macht das Rätsel zu seinem Rätsel, die Geschichte zu seiner Geschichte?“ (16) lautet die Frage, die Kaiser an den Text stellt und damit beantwortet, dass das tote Kind eine primäre Identifikationsfigur des Rahmenerzählers sei, weshalb er als Kind auch mit intuitiver Sicherheit „die Zeichen lesen [kann], an denen die Erwachsenen versagen: Durch Schuld des Vaters im Wasser versunken“. Aber warum identifiziert sich der Rahmenerzähler unbewusst mit dem fremden Kind? Und welche Rolle spielt die negative Vaterfigur des finsteren Predigers, die ja in beiden Geschichten vorkommt, für die Identifikationsbereitschaft des Betrachters? Vielleicht kann uns ein Seitenblick auf den biographischen Hintergrund der Rahmenerzählung einen Schritt weiterbringen.


Das Unbewusste als Movens im Schaffensprozess

Aus Storm Äußerungen über den Schaffensprozess erschließt sich, welche Elemente ihm wichtig waren. Das Bild des toten Knaben aus dem Bonnixschen Epitaph der Kirche in Drelsdorf (Bonnix war der Name des Pastors), unter dem die „merkwürdigen, harten“ Worte „Incuria servi aquis submersus“ standen (als durch Unachtsamkeit des Knechtes im …), ist ihm „immer von neuem nachgegangen.“ (17) Und hinter dem Pastorate befand sich tatsächlich eine Koppel mit einer Wassergrube, in der, so vermutet Storm, der Knecht den Knaben hat ertrinken lassen. Darüber hinaus sind die wesentlichen Aspekte der Erzählung „absolut erfunden“, so das Bild eines „finster blickenden Geistlichen“, während auf den Originalbildern ein „ehrenfest und wohlwollend blickender rötlichblonder stattlicher Pastor“ (18) zu sehen war. Erst drei oder vier Jahre nach seiner Entdeckung dieser „schlecht gemalten Bilder […] auf einer Amtsfahrt durch die sonnig goldene träumerische Herbstlandschaft stand auf einmal alles, wie es jetzt in der Dichtung steht, vor [ihm] auf“, und er präzisiert: „Was mir haftengeblieben, war besonders die unbarmherzige Umschrift und das Totenbild“ (19). Daraus kann man schließen, dass die Schuldzuweisung dasjenige Bildelement war, das Storm am stärksten beschäftigte und zu dem Stoff anregte. Signifikant ist dabei natürlich gerade das, was Storm verändert hat, indem er einerseits die Schuld des Knechtes durch die des Vaters und andererseits die Vaterfigur auf dem Bild durch eine gegensätzliche Erscheinung ersetzte, womit er allerdings den Rahmenerzähler zunächst in die Irre führt, denn der finstere Prediger ist ja gar nicht der Vater, der den Tod des Sohnes verschuldet hat.

Auffällig ist zudem, mit welchen Worten Storm seinen Schaffensprozess beschreibt. Genau wie seinem Rahmenerzähler nämlich fiel ihm der ganze Stoff anscheinend unwillkürlich zu, und zwar erst Jahre, nachdem er die Drelsdorfer Kirche besucht hatte. Ausgelöst vermutlich durch eine Reminiszenz in der „sonnig goldenen träumerischen Herbstlandschaft“ erinnert er sich nicht nur an das, was ihm vom Besuch der Kirche „haftengeblieben“, sondern „auf einmal“ „stand… alles, was jetzt in der Dichtung steht, vor mir auf“, so dass es in den nächsten fünf Monaten jeweils in den Morgenstunden nur noch niedergeschrieben zu werden brauchte. Also scheint auch beim Autor nach einer längeren Inkubationszeit der wesentliche Gehalt der Geschichte aus dem Innern ganz plötzlich und unvermutet hervorgebrochen zu sein, durch eine zufällige äußere Wahrnehmung ausgelöst. Das lässt vermuten, dass die Konflikte, die hier auf Figurenebene dargestellt werden, im Wesentlichen nicht auf äußerer Beobachtung, sondern auf vermutlich unbewussten (bzw. vorbewussten) psychischen Dispositionen des Autors beruhen (20), und dass mit Einsetzen des Schaffensprozesses der Zeitpunkt gekommen war, zu dem auch dessen Bewusstsein aufnahmebereit war für Vorstellungsbilder, die Abkömmlinge eigener unbewusster Konflikte sind.


Die Inszenierung des unbewussten Konflikts als Rätsel

Ein weiteres bedeutungsvolles Element, das im Bonnixschen Epitaph völlig fehlt, ist das des Rätselhaften: Während das Originalbild dem Betrachter Storm kaum Rätsel aufgegeben hat und das, was ihn beschäftigte, die Schuldzuweisung und das Totenbild, aber nicht die Hintergründe des Geschehens waren, wird das Bild in der Novelle als zu entschlüsselndes Rätsel in Szene gesetzt: Hat der Rahmenerzähler wirklich Recht mit seiner intuitiven Deutung der Abkürzung C.P.A.S.? Wer waren der Knabe und der finstere Geistliche, was hat dieser mit sei-nem Tod zu tun, wer war der milde blickende ältere Mann, der auf dem anderen Bild den toten Knaben hält, wo war die Mutter des Knaben, als er starb usw.? Es geht hier also um eine Entschlüsselungsarbeit, die uns Lesern mitsamt dem Erzähler aufgegeben wird: Ge-meinsam sollen wir die Wahrheit herausfinden. Aber welche Wahrheit?

Nach der Lektüre des ersten Heftes der Handschrift zieht der Rahmenerzähler eine Zwischenbilanz: „Meine Augen ruhten auf dem alten Bild mir gegenüber; ich konnte nicht zweifeln, der schöne ernste Mann war Herr Gerhardus. Wer aber war jener tote Knabe, den Meister Johannes hier so sanft in seinen Arm gebettet hatte?“ Diese Frage leitet nun seine Lektüre des zweiten Bandes. Und diese macht zunehmend deutlich, dass auch der Erzähler der Chronik, nachdem er in „die Stadt an der Nordsee“ gezogen war und schon seit Jahren nichts mehr von Katharina gehört hat, von Erinnerungen geradezu überfallen wird. Beim Malen einer Auftragsarbeit, des Bildes der Auferweckung des Lazarus, muss er plötzlich daran denken, wie er einst in der kleinen Schlosskapelle im Beisein Katharinas ihren eben ver-storbenen Vater porträtierte, und dann muss er „zu eigener Verwunderung gewahren, daß [er eben dessen Züge] in des Lazari Angesicht hineingetragen hatte.“ Nun kann er nicht mehr weiter malen, denn mit geradezu Hoffmannschem Pathos brechen seine verdrängten Erinnerungen über ihn herein: „Ein sehnend Leid kam immer gewaltiger über mich; es zerfleischete mich mit wilden Krallen und sah mich gleichwohl mit holden Augen an.“ (700f.) Hier tritt ein magischer Moment (21) ein, in welchem ein Gemälde zum Spiegel der Seele seines Erzeugers und Betrachters wird, was den halluzinatorischen Effekt auslöst, dass ihn nun seine nach außen projizierten Objektrepräsentanzen anschauen. So bricht das lange unterdrückte Begehren nach der Geliebten gewaltig hervor und erschüttert in hochambivalenter Weise sein fragiles, auf Verzicht und Resignation gegründetes Ich.

Nachdem Johannes den Auftrag vom Dorfprediger erhalten hat, dessen Porträt zu verfertigen, wiederholen sich Elemente der Rahmenerzählung vom Anfang der Novelle nun in der Binnenerzählung bzw. erscheinen rückwirkend erstere als Reinszenierung der früheren Situ-ation. So schließen sich Rahmen- und Binnenerzählung zusammen: Der Konfliktschauplatz der Vergangenheit ragt in die Gegenwart hinein, und die Gegenwart „wiederholt“ sich (mit-tels der anachronischen Erzählstruktur) in der Vergangenheit. Auf dem Weg von der Stadt ins Dorf sieht Johannes zunächst nur den ganz zu Anfang der Novelle erwähnten „spitzen Kirchturm des Dorfes, dem er zustrebt“ (703), der ersten Wegmarke in den Erinnerungsraum des Rahmenerzählers. Dann ist er ebenso wie später dieser tief ergriffen von den Augen des noch lebendigen Knaben: „Weshalb rühreten diese Augen so an meine Seele? […] Es war etwas in dieses Kindes Antlitz, das nicht aus seinem kurzen Leben kommen konnte; aber es war kein froher Zug. So, dachte ich, sieht ein Kind, das unter einem kummerschweren Herzen ausgewachsen.“ Und aus diesen Gedanken ergibt sich eine neue Frage: „Welch eine Frau mag dieses Knaben Mutter sein?“ (706). Was also den Chronikerzähler besonders anrührt, ist der traurige Blick des Kindes einer offensichtlich unglücklichen, einer melancholischen oder depressiven Mutter: Vielleicht ist genau dies der Aspekt, der in dem Rahmenerzähler das „unwiderstehliche Mitleid“ (647) beim Anblick des Knabenporträts erweckte. Und ähnlich wie dieser empfindet auch der Chronikerzähler den Knaben als ein Rätsel, dessen Lösung er auf die Spur kommen will. Und die Lösung des Rätsels wird ihm dann nicht durch eine Information von außen mitgeteilt, sondern überfällt ihn wieder ganz plötzlich als ein Wissen aus seinem Innern, das nun erst in sein Bewusstsein dringt: „Da, gleich einem Stern aus unsichtbaren Höhen, fiel es mir jählings in die Brust: Die Augen des schönen blassen Knaben, es waren ja ihre Augen! Wo hatte ich meine Sinne denn gehabt!“ (707). Diese Entdeckung führt nun dazu, dass „schreckbare Gedanken“ auf ihn einstürmen, Gedanken, die möglicherweise dafür gesorgt haben, dass ihm das Wissen um die Herkunft des Knaben nicht schon früher bewusst wurde: die Verdrängungsschranke öffnet sich.


Die psychoanalytische Deutung des unbewussten Konfliktes

Welche Wahrheit verlangt hier nach Entschlüsselung? Da die Figuren in „Aquis Submersus“, wie gezeigt, in starkem Maße von unbewussten Motiven geleitet werden und die ganze Novelle als Rätsel arrangiert ist, bieten sich psychoanalytische Deutungsverfahren an, um den Geheimnissen des Textes auf die Spur zu kommen. Als psychodynamisches Substrat der Novelle betrachtet (d.h. als der unbewusste Konflikt, der Personenkonstellation und Handlungsentwicklung generiert und vorantreibt), scheint mir die Wahrheit auf mehrere Ebenen aufgefächert zu sein. Eine davon ist die Liebe des männlichen Protagonisten zu einer Kindfrau; zwar ist er nur um wenige Jahre älter als sie und die beiden wuchsen geschwisterähn-lich miteinander auf, aber der erwachsene Johannes begehrt Katharina immer noch, im doppelten Sinne des Ausdrucks, als Kind: Dafür sprechen die vielen Diminutive, mit denen sie gerade während der Liebesnacht charakterisiert wird (beispielsweise ist dreimal von ihrem „Händlein“ die Rede, vgl. 684 und 687). Auch als Johannes ihr am Schluss der Novelle wieder begegnet, entdeckt er in ihrem Gesicht kindliche Züge wieder („und mir war, als gliche sie nun gar seltsam dem Kinde wieder, das sie einst gewesen war, für das ich den ‚Buhz‘ einst von dem Baum herabgeschossen hatte; aber dieses Kinderantlitz von heute war bleich und weder Glück noch Muth darin zu lesen“)(22). Dass seine Liebe zu Katharina auf einer Übertragung eines unbewussten Seelenbildes aus früher Kinderzeit beruht, zeigt sich vor allem in seinem Bericht über das Porträt, das er in der Ahnengalerie von ihr verfertigt.

Darin betont Johannes, dass dieses Bild nahezu ohne bewusste Lenkung entstanden ist: „[…] und dabei blühete aus dem dunklen Grund des Bildes immer süßer das holde Antlitz auf; mir schien’s, als sei es kaum mein eigenes Werk. – Mitunter war’s, als schaue mich etwas heiß aus ihren Augen an; doch wollte ich es dann fassen, so floh es scheu zurück; und dennoch floß es durch den Pinsel heimlich auf die Leinewand, so daß mir selber kaum bewußt ein sinnberückendes Bild entstand, wie nie zuvor und nie nachher ein solches aus meiner Hand gegangen ist“ (673).

„Wir malen mit Augen der Liebe“, sagt der Maler Conti in Lessings „Emilia Galotti“ und beklagt sich darüber, was „auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel“ alles verloren geht. Dieses Problem hat Johannes nicht, eher im Gegenteil, er scheint erst durch das Bild wirklich wahrzunehmen, dass er die Porträtierte liebt. Seine Wortwahl macht deutlich, dass er aus dem Unbewussten heraus ein eigenes Seelenbild auf die Leinwand bringt, statt äußere Tatsachen zu reproduzieren. So entsteht das Bild eines weiblichen Alter ego, einer Kindfrau, in der Johannes sich selbst spiegeln und so die Wiederbelebung einer verdrängten narzisstischen Vollkommenheit aus früher Kindheit erleben kann; es ist der gleiche psychische Vorgang, mit dem Regina Fasold die magische Wirkung des Bildnisses des Meretleins auf den grünen Heinrich erklärt. Der Bilderzauber in Storms Novelle, deren berückende Wirkung zugleich eine verrückende ist (etymologisch ist das Berücken ein Täuschungsmanöver beim Vogelfang), beruht somit auf der unbewussten Spiegelung des Betrachters in der dargestellten Person. Maler sind Leute, die Bildnisse machen, doch Johannes ist ein Maler, der sich ein Bildnis macht. Und dies geschieht in einem Moment hochgradiger Gefährdung, als beide Liebenden von der sie schützenden idealisierten Vaterfigur, Herrn Gerhardus, verlassen wurden, wodurch sie in dem Haus ihrer Kindheit keine Heimat mehr haben und der Willkür eines feindselig gesonnenen Abkömmlings der kalten, versagenden Ahnfrau ausgeliefert sind. In dieser Situation dient die Wiederbelebung der verdrängten kindlichen Vollkommenheit durch Spiegelung in einem ähnlich empfindenden Gegenüber der Stabilisierung des eigenen bedrohten Selbst. (23) Wenn dieses Alter Ego allerdings wie hier eine Kindfrau ist, bleibt das durch die Spiegelung erreichte psychische Gleichgewicht prekär, denn Liebe strebt nach ihrer Verwirklichung in der Sexualität, wodurch die Kindfrauen ihre androgyne narzisstische Vollkommenheit einbüßen. (24) Indem sie zu Frauen und Müttern werden, zwingen sie ihren männlichen Liebhaber zur Anerkennung der Geschlechterdifferenz.

Während sie deshalb in zahlreichen anderen Storm-Novellen sterben müssen, bevor es zum sexuellen Vollzug der Liebe kommen kann, wird hier zwar die Kindsbraut durch einen einmaligen Geschlechtsakt zur Mutter gemacht, doch danach macht der Kindsvater ihre Mutterwerdung gleichsam wieder rückgängig, indem er sie von ihrem Kinde trennt. So kann sich hinter der scheinbaren Unachtsamkeit, durch die Johannes grausame Schuld auf sich lädt, der unbewusste Impuls verbergen, das Kind zu beseitigen, damit die Geliebte sich wieder in eine androgynen Kindfrau zurückverwandeln kann: Culpa patris. Und mehr noch: Johannes verspürt den Wunsch, sie zu töten, um mit ihr in einer finalen Regression die ersehnte Symbiose verwirklichen zu können: „Wir umschlangen uns inbrünstiglich; ich hätte sie tödten mögen, wenn wir also mit einander hätten sterben können“ (715).

Sterben muss indessen nicht die Geliebte, sondern der gemeinsame Sohn. Die Fixierung des Johannes auf eine Kindfrau verhindert somit eine familiäre Triangulierung, wie sie nach klassisch psychoanalytischer Auffassung zur Entstehung und Überwindung des Ödipuskomplexes unabdingbar ist. Eigentlich sollte es doch möglich sein, dass der Vater die Mutter liebt und zu diesem Zwecke den Sohn von der Mutter trennt, ohne dass der Sohn daran zugrunde gehen muss. Wird der Vater vom Sohn als Identifikationsfigur und Wegweiser in die Sozialisation, zugleich aber auch als Liebhaber der Mutter anerkannt, dann ist die ödipale Phase erfolgreich durchlaufen worden. In „Aquis Submersus“ hingegen wird diese Konstellation so aufgelöst, dass einer der beiden Gegenspieler im ödipalen Konflikt tatsächlich beseitigt wird, allerdings ist es nicht der Vater, sondern der Sohn. Indem Johannes sich nur als Geliebter Katharinas zeigt, nimmt er dem Sohn die Mutter nur weg, ohne ihn zugleich als Vater in die Sozialisation zu führen. Dies kann im Übrigen auch der Geistliche nicht leisten, der zwar die Vaterrolle übernommen hat, aber keine Liebe für die Mutter empfindet. Was dem Kind als Ausweg bleibt, ist das Zurücksinken in den Mutterleib, den der Text wie häufig bei Storm als Wassergrube dargestellt. Gerhard Kaiser hat die Problematik der aufgespaltenen Vaterposition in „Aquis Submersus“ und deren fatale Konsequenzen herausgearbeitet: „Dem kleinen Johannes, der Spiegelungsfigur des Rahmenerzählers als Kind, wird zur Katastrophe, daß er zwei Väter hat und den Namen zweier Väter trägt […]Nur wenn Vaterrolle und Liebhaberrolle für das Kind in zwar spannungsvoller Einheit bleiben, wenn die Einheit dieser Kultivierungsinstanz (gemeint ist die bürgerliche Familie, C.N.) zeigt, wie man liebt, [….] gelingt die Sozialisation: Das männliche Kind ist präpariert für die kulturelle Liebe in der kulturellen Ehe. Weil der kleine Johannes zwei Väter hat, von denen der eine ihn wegschiebt und der andere ihm nicht zeigen kann, wie man liebt, hat er keinen und ertrinkt“ (25). Diese Aufspaltung der Vaterposition scheint mir jedoch vor allem der Ausdruck einer tiefen Enttäuschung eines kleinen Jungen zu sein, dessen Vater ihn brüsk zurückstößt und ihm die Mutter als Liebesobjekt wegnimmt, ohne diesen Verlust dadurch zu kompensieren, dass er sich seiner annimmt. Wenn durch einen solcherart abgewandten und gefühlskalten Vater der Weg in die Sozialisation verstellt ist, bleibt noch der Rückzug in die Vergangenheit, in die ichauflösende Regression in den Mutterleib. Diese regressive Neigung findet sich aber in unserer Novelle genauso beim Vater selbst, der nicht umsonst denselben Namen trägt wie der ertrunkene Sohn. Deshalb liebt er eine Kindfrau, denn diese Liebe ist präödipal geprägt, sie beruht, wie es Michael Wetzel formuliert, auf einer Verleugnung der Geschlechterdifferenz, um die Kindsbraut „zum Spiegel des androgynen Ideal-Ichs“ (26) des Mannes zu machen. Diesen Zusammenhang verdeutlichen die über Bildnisse hergestellten Spiegelübertragungen beim grünen Heinrich mit dem Meretlein ebenso wie bei Johannes mit Katharina. Johannes kann weder Katharina als eigenständige erwachsene Frau lieben noch seinen Sohn aus der ödipalen Krise herausführen, weil er diese selbst nicht überwunden hat.

Wie häufig in Storms Werk steht Liebe hier ganz im Zeichen der Regression, ist Suche nach Wiederherstellung vergangener, nicht überwundener Zustände, der Kindheit, in letzter Konsequenz des intrauterinen Lebens. Hier nun sind wir an der tiefsten unbewussten Bedeutungsebene der Novelle angelangt: Es ist die thalassale Regression, das Begehren nach und zugleich das Grauen vor der Rückkehr in das Fruchtwasser des Mutterleibs. Sie wird ausgedrückt durch das Versinken des Knaben im Teich: Durch Schuld des Vaters kommt er nicht ins Leben hinein, und deshalb muss er in den Uterus zurück. Der Begriff „thalassale Regression“ stammt aus Sandor Ferenczis „Versuch einer Genitaltheorie“ von 1924. Für Ferenczi ist die weit verbreitete Fantasie der Rückkehr in den Mutterleib „nicht allein individualpsychologisch als Resultat des Geburtstraumas zu verstehen, sondern als ein in die Gattung selbst eingesenkter Wunsch, der, weit älter als der Mensch […] auf ein kollektives Urtrauma in der ‚Tiefenzeit‘ der Evolution zurückreicht, auf die ‚große Katastrophe‘ der ‚Eintrocknung der Meere‘ und den dadurch erzwungenen (partiellen) Landgang der Seetiere“ (Riedel 187). Im Geburtsvorgang wiederholt sich somit ein Trauma der ganzen Gattung, so wie für Ferenczi jedes Kind in seinen frühen Entwicklungsschritten die Entwicklungsgeschichte der ganzen menschlichen Gattung noch einmal durchläuft. Nach Ferenczi erhält sich das verlorene Meer gleichsam introjiziert im Organismus der Landtiere und generiert dort die regressive „Wiederherstellung der See-Existenz im feuchten, nahrungsreichen Körperinneren der Mutter“. Das Konzept der thalassalen Regression beeinflusste in der Literatur der Zwanziger Jahre unter Anderem Gottfried Benn. Diese regressive Fantasie ist bei Benn jedoch in keiner Weise angstbesetzt, sondern Ausdruck eines unerfüllbaren, durch die Poesie aber immerhin aussprechbaren Verlangens, in das verlorene Lebenselement zurückzukehren, wie folgende Beispiele zeigen: „O daß wir unsre Ur-ur-ahnen wären./ Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor./ Leben und Tod, Befruchten und Gebären/glitte aus unseren stummen Säften vor./Ein Algenblatt oder ein Dünenhügel,/vom Wind Geformtes und nach unten schwer./Schon ein Libellenkopf, ein Möwenflügel/wäre zu weit und litte schon zu sehr.“ (27) Oder aus dem Gedicht „Regressiv“: „am Horizont die Schleierfähre,/ stygische Blüten, Schlaf und Mohn,/ die Träne wühlt sich in die Meere - / dir: thalassale Regression“. (28) Im Gegensatz hierzu erscheint in „Aquis Submersus“ die thalassale Regression extrem angstbesetzt, sie löst ein solch massives Vernichtungsgrauen aus, dass dieser Impuls wie in vielen anderen Stormtexten nicht als ein eigener der Figuren dargestellt werden kann, sondern als Verkettung unglücklicher Umstände, in die die Figuren allerdings auf rätselhafte und wohl doch nicht ganz zufällige Weise hineingezogen werden.

In erzählstrategischer Hinsicht ermöglicht der Tod des Kindes die Verknüpfung der unbewussten Konfliktebenen der Geschichte , nämlich dem Begehren nach einer Kindsfrau, der Beseitigung des männlichen Widerparts in der ödipalen Triangulierung und dem stark angstbesetzten Wunsch nach thalassaler Regression. Dieser letzten und tiefsten Konfliktebene wird am Ende eine allgemeinmenschliche Dimension verliehen: Das Tosen der Brandung „wurde [Johannes] plötzlich bewußt“, und dieses „dumpfe Brausen des Meeres“ erscheint ihm als Grundierung unserer Existenz, die „gleich einem finsteren Wiegenliede“ (722) die Worte zu tönen scheint: Aquis Submersus – Aquis Submersus. Das Oymoron vom finsteren Wiegenlied – eigentlich ist ein Baby ja gerade dem Wasser entkommen, hier wird ihm schon im Wiegenlied der Tod durch Ertrinken gesungen – führt somit zum tiefsten Kern der Lösung des Rätsels, das den Rahmenerzähler genauso angeht wie den Erzähler der alten Chronik und, da es an eine im unbewussten kollektiven Gedächtnis der Menschheit aufgehobene Urerfahrung anknüpft, auch in uns Lesern einen Resonanzraum findet.

Dieser erhält allerdings eine spezifisch Storm‘sche Prägung, die sich in dem gespenstischen Zusammenhang zwischen einem ins Leben eingeschriebenen Tod und einem unheimlichen Weiterleben des Toten manifestiert. So spricht aus den Bildern in der Ahnengalerie die ge-netische Prägung der Charaktereigenschaften der Lebenden durch ihre Vorfahren. Hier findet Johannes das Bildnis der vor über hundert Jahren bereits gestorbenen Edelfrau wieder, die ihre einzige Tochter aufgrund einer Mesalliance verfluchte, so dass diese sich in einen Gartenteich stürzte. Dieses Bild hatte ihn bereits in seiner Kindheit mit Grauen erfüllt, und nun entdeckt er im stechenden Blick der Ahnin die kalten Augen des Junkers Wulfs, des bösen Bruders der Geliebten: „Wie räthselhafte Wege gehet die Natur! Ein saeculum und drü-ber rinnt es heimlich wie unter einer Decke im Blute der Geschlechter fort; dann, längst vergessen, taucht es plötzlich wieder auf, den Lebenden zum Unheil“ (669).

In Regina Fasolds „Aquis-Submersus“-Interpretation wird das Motiv vom Fluch der Ahnfrau zum Großzeichen des Textes. Das unheimliche Bild mit seiner magischen Wirkung überschattet von Beginn an die Liebesgeschichte zwischen den beiden Hauptfiguren, denn es verweist auf die individuelle Vorzeit der beiden, auf die Defizite ihrer frühkindlichen Sozialisation, die Fasold aber nicht wie Kaiser primär im Versagen der Vaterinstanz sieht, sondern im Fehlen „wärmender mütterlicher Liebe und Zuwendung […], welche die Voraussetzung für das Gefühl der Selbstsicherheit, der Geborgenheit in der Welt und vor allem für das Urvertrauen in einen anderen darstellen.“ (29) Wie viele andere Stormhelden und –heldinnen, die ihr Lebensglück tragisch verfehlen, verlor Katharina ihre Mutter sehr früh, während von der Mutter des früh zum Waisen gewordenen Johannes noch nicht einmal die Rede ist. Die an der Textoberfläche leer bleibenden Mutterstellen dringen auf einer zweiten Ebene verfremdet ins Bewusstsein, und zwar im Bild der Ahnfrau, die als Projektion eines inneren Bildes ein bewusstseinsfähiger Abkömmling der unbewussten Vorstellung von der eigenen versagenden Mutter ist. Von hier aus glaubt Fasold nun den vom Text ausgeblendeten Teil der frühen Kindheit der beiden Protagonisten rekonstruieren zu können: „Wer unter solchen kalten Augen geboren wurde, unter denen die beiden Hauptfiguren noch als Erwachsene erschauern, sehnt sich sein Leben lang nach Liebe und scheut tragischerweise doch vor einer wirklichen Bindung zurück, weil in jeder tiefen Abhängigkeit von einem anderen Menschen die Gefahr lauert, so frustriert zu werden wie von jener elementaren, alles überschattenden ersten Bindung an die Mutter. Diese Ängste können in einer engen Beziehung immer wieder die Stärke von Todesängsten erlangen“ (30).

Folgt man dieser Argumentation, so sind die Schuld der Väter und die gescheiterte Triangulierung in der ödipalen Phase noch nicht der Kern des Konfliktes, sondern nur eine Funktion und Folge des eigentlichen Dramas, das in einer tief gestörten Mutter-Kind-Beziehung liegt, aus der es für das Kind kein Entrinnen gibt und das tiefe Schatten auf seine weitere Entwicklung wirft. Diese Erkenntnis verleiht den zahlreichen Homologien zwischen dem Bildnis des Meretleins in Kellers „Grünem Heinrich“ und dem Porträt des toten Knaben in „Aquis Submersus“ eine weitere Dimension. Beide Kinder werden zwar durch die Schuld von Vater-figuren in den Tod getrieben, aber bevor diese überhaupt in ihr Leben treten konnten, waren sie bereits von ihren Müttern innerlich verlassen worden. Da beide Kinder auch entscheidende Identifikationsfiguren für die Erzähler sind, ist stark zu vermuten, dass sowohl der grüne Heinrich als auch der anonyme Rahmenerzähler in „Aquis Submersus“ unter der gleichen, ihnen selbst nicht bewussten psychischen Problematik leiden. In der hochkomplexen Erzählstruktur von „Aquis Submersus“ ist der Chronikerzähler Johannes als weitere Instanz zwischengeschaltet. Er ist, wie Heinrich Detering aufgezeigt hat, „der Urheber aller Zeichen, die der [Rahmen]erzähler zu entziffern hat, ehe er die Handschrift findet. Er hat jene Bilder gemalt, zu denen es den Rahmenerzähler unwiderstehlich ‚zog‘; er hat die rätselhaften Buchstaben geschrieben, deren Bedeutung dieser ‚ohne viel Besinnen‘ erraten hat; er ist der Bauherr, der in die Fassade seines damals neuen, jetzt selbst schon alten Hauses jene Inschrift wieder einmauern ließ, die dem Rahmenerzähler jetzt in die Augen fällt. Und der reagiert auf dieses neue Zeichen nun abermals so, als habe es an ihn appelliert, als wolle es etwas von ihm.“ (31) Die Häufung und die Verknüpfung all dieser zu Zeichen geronnenen Umstände, vor allem aber die Tatsache, dass sie allesamt von derselben Person herrühren, von der freilich der Rahmenerzähler bis zum Entdecken der Chronik überhaupt nichts wissen konnte, deuten darauf hin, dass der Binnenerzähler Johannes ein Alter Ego des Rahmenerzählers ist, in dessen Geschichte dieser wiederum seine eigenen verdrängten Seelenbilder auffindet und die damit verknüpften ungelösten Konflikte in seinem Unbewussten einer Form der Bearbeitung zugänglich macht.


„Aquis Submersus“ als Metapher einer Introspektion

All diese Bilder sind Chiffren des (un)heimlichen Fortlebens einer verschütteten, jedoch unabgeschlossenen Vergangenheit. Den Figuren unbewusst, tritt sie plötzlich aus dem Verborgenen hervor und löst heftige Affekte aus, die von Mitleid, Trauer, Rührung, Sehnsucht und Begehren bis hin zu Furcht, Schrecken und Grauen reichen. Die Erschütterung, die von diesen Impulsen ausgelöst wird, deutet darauf hin, dass zumindest in dieser Novelle die von Storm immer wieder mit Adjektiven wie „unbewusst, kaum bewusst, unwillkürlich, unwillens“ usw. bezeichneten Handlungsweisen tatsächlich von einem Unbewussten gelenkt werden, das dem Begriffsverständnis Freuds nahe kommt, auch wenn die Erklärungsmuster, soweit sie überhaupt vorhanden sind, nicht psychologischer Art sind, sondern auf biologische oder mythische Konzepte zurückgreifen. Denn wie gezeigt wurde, stecken die Figuren in einer konfliktträchtigen Gefühlsambivalenz, einem beständigen Kampf zwischen Begehren und Abwehr, der dafür sorgt, dass Vergangenes, obschon vom Subjekt ersehnt (ersehnt als Regression und als Glücksversprechen, das nicht eingehalten werden konnte), doch unterdrückt werden muss, weil die Folgen seiner Wiederkehr gefürchtet werden. Das, was hier als psychodynamisches Substrat ausgemacht wurde, die verschiedenen Schichten unbewusster Konflikte, von der Kindsbrautbeziehung über die Aufhebung der ödipalen Triangulierung bis hin zur durch die Erfahrung der Mutterverlassenheit verstärkten thalassalen Regression, erschüttert den Maler Johannes ebenso sehr, wie es den Rahmenerzähler ergreift, der im Bildnis des ertrunkenen Knaben seine eigenen verdrängten Konflikte gespiegelt sieht. Denn es sind, wenn man Gerhard Kaisers und Regina Fasolds Deutungen folgt, Konflikte vieler Kinder im 19.Jh., die sie beim Aufwachsen mehr oder weniger und meist mit Schmerzen überwunden haben.

Weil auch der Rahmenerzähler diese Sozialisation durchlaufen und sicherlich nicht unbeschadet überstanden hat, kann er sich über das Schicksal des lebendig-toten Knaben beugen wie über seine eigene Kindheit, mit einer Mischung aus Rührung und Schauder, ohne fürchten zu müssen, selbst in den regressiven Sog gerissen zu werden, in welchem der kleine Johannes unterging. Als junger Erwachsener hat er nun die nötige Distanz, um sich in der verschriftlichten und verfremdeten Form einer alten Chronik mit der Wahrheit über seine eigene Kindheit auseinanderzusetzen. Weil er nun dazu bereit ist, fällt ihm auf einmal alles zu, was er als Knabe aufgrund des Bildes mit seiner rätselhaften Inschrift nur dunkel ahnen konnte, denn da war die Gefahr noch nicht gebannt, die Wassergrube noch in seiner Nähe. Indem Storm seine Novelle höchst kunstvoll als Rätsel arrangiert, dessen Auflösung die Todesumstände des Knaben sind, worauf dem Chronikerzähler das Rauschen der Brandung mit ihrem finsteren Wiegenlied plötzlich bewusst wird, verfolgt er ganz explizit mittels seiner Erzählstrategie das Ziel, dem Leser die Bewusstwerdung unbewusster Inhalte miterleben zu lassen, und dieses Unbewusste ist nichts Vergessenes oder gerade Ausgeblendetes, sondern etwas, was zuvor nicht vom Bewusstsein zugelassen wurde, weil es der Verdrängung anheimgefallen war.

Für Heinrich Detering lassen sich „alle Ereignisse und Motivationszusammenhänge, die innerhalb der erzählten Welt potentiell ‚übernatürlich‘ erscheinen, als Metaphern der literarischen Imagination auffassen. Die fiktionale Geschichte der Auffindung“, so Detering, „lässt sich lesen als metaphorische Umsetzung des realen Prozesses der Erfindung.“ (32) Während sich für Detering die zahlreichen Homologien zwischen Rahmen- und Binnenerzählung einer-seits und den biographischen Umständen bei der Entstehung des Werkes andererseits daraus erklären, dass Storm hier seinen eigenen Schaffensprozess in kunstvoller Verkleidung darstellt, möchte ich auf der Grundlage eines ähnlichen interpretatorischen Befunds eine andere Deutung vorschlagen, die ich nicht als Gegenthese, sondern als eine weitere produktive Lesart verstehe. Danach intendiert die literarische Erfindung doch auch wieder eine Auffindung, denn sie ist die raffinierte Darstellung der Introspektion eines Subjektes, das den Leser auf die Reise in sein Unbewusstes mitnimmt. Die Position dieses Subjektes kann vom Leser per Identifikation bei der Textrezeption besetzt werden, so wie sie bei der Produktion vermutlich vom Autor besetzt wurde. In der Novelle selbst wird sie vom Rahmenerzähler ausgefüllt, der deshalb auch anonym und weit gehend unbestimmt bleibt, und für den die Figuren der Binnenerzählung, insbesondere Maler Johannes und sein gleichnamiger Sohn, ebenso Alter-Ego-Figuren sind wie er es selbst für den Leser der Novelle ist. Ob dieser nun das Identifizierungsangebot des Textes wahrnimmt, hängt von der Psychodynamik seiner eigenen Persönlichkeitsstruktur ebenso ab wie von seinem ästhetischen Geschmack und der Epoche und Gesellschaft, in der er lebt. Das komplexe Arrangement von Spiegelungen, das über die verschiedenen Erzählebenen bis hin zum Leser selbst reicht, dürfte das Spezifikum Storm‘schen Erzählens sein, das den Unterschied zu anderen Autoren des poetischen Realismus ausmacht. In welchem Maße sich die hier versuchte Lesart einer Storm-Novelle als Introspektion eines Subjektes bis in die unbewussten Tiefenschichten hinein auch auf andere Erinnerungserzählungen Storms übertragen lässt, ob also „Aquis Submersus“ in dieser Hinsicht als Programmnovelle verstanden werden kann, könnte Gegenstand weiterer Untersuchungen sein.






Eine ausführlichere und wissenschaftliche annotierte Fassung erscheint im Juli 2014 in Storm-Blätter aus Heiligenstadt, 18. Jahrgang 2014, unter dem Titel: „Mir schien’s, als sei es kaum mein eigenes Werk“: Der Diskurs des Unbewussten in Storms Chroniknovelle „Aquis Submersus“.



(1) Storm spricht sich in einem Brief an P. Heyse gegen das offene Motivieren aus. Das, was „vom Goldschimmer der Romantik“ in ihm sei, gehe „dabei viel leichter in die Brüche als bei der ‚symptomatischen Behandlung‘“, die er „für den einzigen wahren poetischen Jacob“ halte. Brief vom 15.11.1882, in: Theodor Storm – Paul Heyse, Briefwechsel (Berlin: Erich Schmidt Verlag, 1974), Bd. 3, S. 37. Terence John Rogers gibt eine detaillierte Darstellung der Techniken der symptomatischen Behandlung, ohne den Begriff zu verwenden, in: Techniques of Solipsism: A Study of Thedor Storm’s Narrative Fiction (Cambridge: The Modern Humanities Research Association, 1970), u.a. S.56, 61ff. u. 81ff. Vgl. hierzu auch: Wolfgang Preisendanz, „Gedichtete Perspektiven in Storms Erzählkunst“, in: STSG 17, 1968, S. 33f., Fritz Rüdiger Sammern-Frankenegg, Perspektivische Strukturen einer Erinnerungsdichtung. Studien zur Deutung von Storms „Immensee“ (Stuttgart: Akademischer Verlag Hans-Dieter Heinz, 1976), S. 110 und Franz Koch, Idee und Wirklichkeit, Deutsche Dichtung zwischen Romantik und Naturalismus (Düsseldorf: Louis Ehlermann Verlag, 1956), Bd. 2, S. 309f.
(2) Er grenzt sich damit vom programmatischen Realismus ab, dessen Handlungslogik und Figurenkonzeption von Thomé folgendermaßen beschrieben werden: „Die Begebenheiten des Romans sollen durch die Interaktion von Figuren erzeugt werden, die in konkreten, gesellschaftlich wahrscheinlichen Situationen in Übereinstimmung mit ihrem durch die Erzählung vorgängig explizierten Charakter agieren. Der Roman muß demgemäß nicht nur empirisch wahrscheinliches menschliches Handeln nachbilden, sondern darüber hinaus dem Leser die Gültigkeit seiner Motivationsketten einsichtig machen.“ Horst Thomé, Autonomes Ich und „Inneres Ausland“: Studien über Realismus, Tiefenpsychologie und Psychiatrie in deutschen Erzähltexten (1848-1914), Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1993, S. 23.
(3) Unter „Diskursen“ verstehe ich die in einer bestimmten Epoche und Gesellschaft produzierten Aussageformationen über Wissensbereiche, die sich durch diese Diskurse erst als solche konstituieren.
(4) Auf die besondere Eignung der Stormschen Erzähltechnik zur Darstellung unbewusster Prozesse wies bereits Fritz Martini hin: „Diese Verhaltenheit hat zu einer Technik des indirekten, spiegelnden, in Bildsymbolen andeu-tenden Erzählens geführt. Sie wird fähig, das Unbewußte im Erzählzusammenhang verdeckt wirksam zu machen.“ In: Deutsche Literatur des bürgerlichen Realismus (1974), S. 653.
(5) E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann. In: Sämtliche Werke in sechs Bänden. Band 3. Frankfurt am Main 1985, S. 21.
(6) Ferdinand Tönnies: Theodor Storm zum 14. September 1917: Gedenkblätter von Ferdinand Tönnies. Berlin 1917, S. 59f.
(7) Vgl. Sigmund Freud: Das Unbewusste. In: Studienausgabe, Band III, Frankfurt am Main 1975 (2000), S. 128ff.
(8) Die Seitenangaben zum Text der Novelle beziehen sich auf die Ausgabe: Theodor Storm. Sämtliche Werke. Band 2. Berlin: Aufbau-Verlag, 1995.
(9) Vgl. Elisabeth Bronfen, „Leichenhafte Bilder – bildhafte Leichen“: Der Blick, der sich vom Außenraum der Natur ins Innere der Kirche bewegt, „bezeichnet den Rückzug aus dem ‚objektiv-wirklichen‘ in den subjektiv-inneren Raum, (sich!) und somit das Ablösen des Realismus durch das Allegorisch-Phantastische.“ Münchner Beiträge zur Geschichte und Theorie der Künste. Hg. von Hans Körner, Constanze Peres, Reinhard Steiner und Ludwig Tavernier. Band 2: Die Trauben des Zeuxis. Hildesheim, Berlin, New York 1990, S. 313.
(10) Vgl. Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur. In: Studienausgabe. Band IX. Frankfurt am Main 1974 (2000), S. 201ff.
(11) Heinrich Detering, Herkunftsorte. Literarische Verwandlungen im Werk Storms, Hebbels, Groths, Thomas und Heinrich Manns. Heide: Westholsteinische Verlagsanstalt Boyens, S. 116.
(12) Ebd.
(13) Gottfried Keller: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Band 11: Der grüne Heinrich 1854/55. Erster und zweiter Band. Basel und Zürich 2005, S. 97.
(14) Storm hat in seinem Briefwechsel mit Keller detaillierte Vorschläge für die Umarbeitung des „Grünen Hein-rich“ gemacht, dessen 2. Fassung 1879/80 erschien, während Storm die Arbeit an „Aquis Sumersus“ im April 1876 beendete. Der Schaffensprozess an den beiden Werken verlief vermutlich zeitgleich.
(15) Vgl. Regina Fasold: „… die Erinnerung an jenes Kind in meinen eigenen Erinnerungen aufbewahren…“ – Die Kindfrau Emerentia als Alter Ego Heinrich Lees in Gottfried Kellers Roman „Der grüne Heinrich“. In: Zwischen Mignon und Lulu. Das Phantasma der Kindsbraut in Biedermeier und Realismus. Berlin 2010, S. 257.
(16) Gerhard Kaiser: Aquis submersus – versunkene Kindheit. Ein literaturpsychologischer Versuch über Theodor Storm. In: Euphorion 73 (1979), S. 417.
(17) Laage, Lohmeier II, Kommentar, S. 915.
(18) Goldammer II, Kommentar, S. 788. (19) Ebd., S. 789.
(20) Sowohl Gerhard Kaiser für „Aquis Submersus“ als auch Regina Fasold für die „Meretlein“- Episode aus dem „Grünen Heinrich“ beziehen die Lebensgeschichten Storms und Kellers als Subtexte in ihre Interpretationen mit ein. In beiden Fällen geht es um krisenhafte Erfahrungen mit den Eltern in der frühen Kindheit der Autoren.
(21) Regina Fasold zeigt, dass die Bilder in Storms Texten deshalb Magie besitzen, weil sie „einer intrapsychischen Realität entsprechen. Die Magie liegt im Wiedererkennen eines Vergessenen oder Verdrängten“, wobei sie Freuds Definition des Unheimlichen folgt, für den dieses „nichts Neues oder Fremdes, sondern etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes“ ist. Regina Fasold, „Culpa patris aquis submersus? Mütter und Tod in Theodor Storms Novellen“, in: Begegnung der Zeiten: Festschrift für Helmut Richter zum 65. Geburtstag, Leipziger 1999, S. 192.
(22) Vgl. auch Regina Fasold zu dieser Textstelle, die Katharina doppeldeutig als „Kind-Mutter“ bezeichnet, in: „Culpa Patris Aquis Subermsus?“, S. 198.
(23) Vgl. Malte Stein: „Der Kontakt zu Kindern ermöglicht ihnen (gemeint sind zahlreiche Storm-Helden, d.V.) eine ‚Spiegelübertragung‘, bei der sie ihr jeweiliges Objekt als ein kindliches Alter ego wahrnehmen können, das ihnen ihr kompensatorisches Wunschbild von sich – ihr ‚narzisstisches Größenselbst‘ – bestätigt. In: Vom Stillwerden des Musikanten. In: Storm-Blätter aus Heiligenstadt. 12. Jahrgang. Heiligenstadt 2006 , S. 32
(24) Vgl. hierzu Mareike Börner: Mädchenknospe – Spiegelkindlein: Die Kindfrau im Werk Theodor Storms. Würz-burg: Königshausen und Neumann 2009, S. 33.
(25) Kaiser, Aquis Submersus, S. 421f.
(26) Vgl. Michael Wetzel: Mignon. Die Kindsbraut als Phantasma der Goethezeit. München 1999, S. 58, und Ma-reike Börner, Mädchenknospe, S. 35.
(27) Gesänge I, in: Gottfried Benn, Gesammelte Werke in vier Bänden, hg. von Dieter Wellershof. Wiesbaden: Limes Verlag 1960 und 1963, Band 3, S. 25.
(28) Ebd., S. 131.
(29) Fasold : Culpa patris aquis submersus ?, S. 189.
(30) Ebd., S. 193.
(31) Detering, Herkunftsorte, S. 125.
(32) Detering, Herkunftsorte, S. 139.






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